Die Stimme der Skulpturen
Kurz zu mir selbst
'Kurz zu mir selbst' ist ein Kunstprojekt, das einigen Skulpturen im öffentlichen Raum eine Stimme verleiht.
Wir haben verschiedene Skulpturen gesammelt, die rund um unsere Gemeinde stehen, und sie erzählen mithilfe von Schriftstellern über sich selbst und die Zeit, in die sie hineingeboren wurden.
Bei einem Spaziergang können Sie die Skulpturen im öffentlichen Raum erleben, während sie über sich selbst sprechen.
Auf dieser Seite finden Sie die Geschichte ausgewählter Bildhauer.
Die Stimme der Skulpturen
Ich stehe in höheren Luftlagen und schaue herab. Die Stiefmütterchen in meiner Hand heissen viola tricolor auf Latein. Eine Sprache, die der begabte Jens Baggesen aus Korsør natürlich beherrschte. Ich bin eine künstlerische Interpretation in Bronze gegossen. Mein Erschaffer war der Bildhauer Julius Schultz. Er reiste in seinen jungen Jahren nach Paris und kehrte als Naturalist wieder heim.
Gleich seinen französischen Vorbildern wollte er seine Motive mit größtmöglicher Präzision wiedergeben. Leider lag Baggesen schon längst in seinem Grab auf dem Friedhof in Kiel. Ein lebendes Model hatte Schultz daher nicht. Glücklicherweise existierten Porträtbilder an die er sich anlehen konnte. Die Kleidung, die ich trage, waren alltäglich in der Gegenwart des Dichters. Auch die Schuhe mit ihren Spannen wirken authentisch. Wenn Baggesen mich sehen könnte, würde er sich sicherlich wiedererkennen. Ich weile auf einem Bein, dadurch entsteht ein Knick in der Hüfte. Dieses gibt mir ein natürliches Antlitz. Dieses Gestaltungsmittel nennt man Kontrapost und ist seit der Antike bekannt.
Julis Schultz verkaufte seinen ersten Abguss 1901 an das Statens Museum for Kunst. Später bestellte die Stadt Korsør noch einen, und das war dann ich. Ich bin weder Kopie noch Original, sondern einfach nur Jens Baggesen Nummer Zwei. Der Schuhmachermeister Peter Lausen kam auf die Idee und es begann eine Geldspendenaktion unter den Bürgern der Stadt. Ich glaube heute wüyrde man sowas crowdfunding nennen. Die inzwischen untergegangene Zeitschrift Illustreret Tidende berichtete von den Festlichkeiten anlässlich meiner Einweihung. Der Vorsitzende des Denkmalkomitees, Bürgermeister Charles Nanke, dankte allen, die ihren Beitrag zur Errichtung der Statue des berühmten Sohns der Stadt. Er dankte auch jenen, die der Enthüllung beiwohnten.
Ich war unter einem großen Laken verdeckt. Ein Photograph schoss ein Bild kurz nachdem es gefallen war. Den Beifall höre ich noch heute. Seit 1906 stehe ich auf dem Hafenplatz, länger als der älteste Bewohner der Stadt je leben wird. Eine Art Bürger bin ich schon. Das alte Eisengitter und einige junge Bäume halten die Umgebung auf Abstand. Meine Anlage gleicht einer einsamen Insel. Beizeiten fühle ich mich inmitten von Korsør wie der gestrandete Robinson Crusoe statt Jens Baggesen.
Jens Baggesen. Julius Schultz (1851-1924). Bronze. Aufstellung im Jahr 1906.
Autorin der Texte ist Gitte Broeng.
Mein Stock ist aus Bronze gegossen, mein Hut aus Granit gemeißelt. Ich sehe vor der schönen Kirchenscheune, die vor mehr als 500 Jahren aus Mauerziegeln gebaut wurde. An der Stirnseite befindet sich eine eingemauterte Marmortafel in Erinnerung an „Dass in die Lateinschule Slagelse Männer wie ... hervorgebracht har“ und darunter ihre Namen. Ich begnüge mich H.C. Andersen zu erwähnen. Er kam am 26. Oktober 1822 in Slagelse an.
Mädchen wurde nicht in der Lateinschule unterrichtet. Arme Jungen hatten an sich auch keine Recht, aber durch Fondsmittel gelang es dem 17jährigen Andersen eine grundlegende Erziehung zu genießen. Wichtige Leute um ihn herum meinten, es sich wichtig, sein Talent zu entwickeln. Die Lateinschule Slagelse lag zu diesem Zeitpunkt nicht länger in der Kirchenscheune, sondern war in die Bredegade umgezogen. Das Haus, in dem H. C. Andersen und seine deutlich jüngeren Klassenkammeraden unterrichtet wurden, ist schon längst abgerissen. Er wohnte in der Stadt bis zum Sommer 1826. Die Schulzeit war anscheinend unerfreulich: „bald lag das alte Slage‘, das ich nicht nur des Reimes wegen als Plage bezeichne, hinter mir“. So schrieb er in einem Brief an den Autor und Freund B.S. Ingemann in Sorø.
Hoher Hut und Stock verbindet man heute mit H.C. Andersen. Als der Verfasser lebte, waren diese Alltagsgegenstände. Manch feiner Herr trug einen hohen Hut und Stock in der Öffentlichkeit. Im 19. Jahrhundert verliessen Männer und Frauen niemals ihr Heim ohne Kopfbedeckung. Das entspräche die Rosengade ohne Hose oder Rock zu begehen, einfach nur in Unterwäsche. Sitten und Gebräuche verändern sich im Laufe der Zeit. Die Texte von H.C. Andersen verbelieben jedoch dieselben. Die Worte hält man auf Bichseiten fest und übersetzt sie in unzählige Sprachen.
Auf der ganzen Erde stehen Statuen mit H.C. Andersen. Einige geben ihn überlebensgroß mit hohem Hit und Stock wieder. Dagegen bin ich eine zurückhaltende Wiedergabe, die ihnen Platz im Stadtbild eingenommen hat. Ein Porträt ohne Gesicht und Körper. Der Bildhauer Olaf Manske Andersen benutzt nur zwei Gegenstände, Hut und Stock, die den Verfasser symbolisieren. Die Platzierung nahe der Gedenktafel führt weitere Gesichtsebenen hinzu. Mehr braucht es nicht, bevor H.C. Andersen in Slagelse erscheint. Ich trage diskret zur Identität der Stadt bei.
Mit Hut und Stock. Olaf Manske Andersen (1957 geboren).´Granit und Bronze. Aufstellung im Jahr 2005.
Autorin der Texte ist Gitte Broeng.
In meiner Gruppe sind wir drei Skulpturen. 1988 ausgeführt vom Bildhauer Erik Varming für die Slagelse Sparkasse. Das Geldinstitut gibt es nicht mehr, aber uns gibt es noch. Bis vor kurzem waren ich und die beiden anderen auf dem Nytorv (Neumarkt) in einer Dreiecksformation, durch die die Menschen frei gehen konnten, aufgestellt. Varming meißelte unsere organischen Formen in Granit. Sie ähneln dem Inneren eines Körpers. Knochen, Sehnen und andere anatomische Bauteile laden zum Assoziieren ein.
Die Natur, im besonderen Menschen und Tiere, war im Laufe der Jahre Varmings bevorzugtes Motiv. Anfangs war der Stil noch realistisch, aber nach und nach bewegte sich die Formsprache in Richtung abstrakter Deutungen, die sich frei zum Motivkreis verhalten. Dafür bin ich und meine Gruppe ein Beispiel. Die Zusammenstellung unterstreicht nur die Individualität des Einzelnen und die möglichen Verwandlungen, die jede Form beinhaltet.
Noch ist es ungewohnt im weichen Grass zu stehen. Nur wenige Meter vom Seeufer des Lystanlægget (Lustgartens). Vor kurzem waren Fliesen unsere Unterlage. Schöne alte Gebäude mit Geschäften und Cafés in den unteren Ebenen waren bekannte Nachbarn. Der Umzug vom Neumarkt endete mit der Sicht auf schwimmende Enten. Das ungefähr 220 Jahre alte Akzise-Haus liegt am gegenüberliegenden Seeufer. Bauern und Händler bezahlten hier bis zum Ausgang des 18. Jahrhunderts Abgaben für ihre Waren, die sie in der Stadt verkaufen wollten. Das Haus stand ursprünglich in der Smedegade (Schmiedegasse), wurde aber 1928 umgesetzt und im Parkvej (Parkweg) wiederaufgebaut.
Wir sind uns in der Gruppe einig, dass das kleine gelb-rote Fachwerkhaus einen schönen Kontrast zu den turmhohen Lichtmasten des Slagelse Stadion darstellt. Die Lautkulisse wird von einem reichen Tierleben geprägt, die auf den Stadtpflaster abwesend war. Vielleicht passen unsere organischen Formen besser in die natürliche Umgebung des Lystanlægget (Lustgartens). Darüber bin ich mit den beiden anderen noch nicht übereingekommen. Kunst im öffentlichen Raum wird immer häufiger vorrübergehend, zu bestimmten Zielen, wie etwa der Stadtentwicklung, eingesetzt. Oder die Künstlerin vermittelt soziale Treffpunkte für Menschen anstatt Objekte hervorzubringen. Wer weiß, ob es im Stadtraum der Zukunft überhaupt noch Platz für bleibende Kunst gibt.
Skulpturgruppe. Erik Varming (geb. 1942). Granit. Auf dem Neumarkt 1988 aufgestellt und später in den Lustgarten überführt.
Autorin der Texte ist Gitte Broeng.
Wir sind beide Göttinnen, ich und Justitia. Sie mit Augenbinde, einer Waage und einem riesigen Schwert. Der Bildhauer Rasmus Harboe erschuf sie aus Majolika, einer besonderen Art italienischer Keramik mit bemalter weißer Tonglasur, Vieleichte erlernte er due Technik während seiner vielen Studienreisen in Italien. Über viele Jahre hinweg arbeitete Harboe für die Porzellanfabrik Aluminia, für die er unter anderem Weihnachtsreliefs und Kinderhilfswerk-Wandteller schuf. Ursprünglich stemmete der Bildhauer aus Skælskør.
Die farbige Justitia steht oben in ihrer Nische und schmückt die Fassade. Sie entspricht der Architektur des zeittypischen Rathauses im neugotischen Stil von F. C. C. Hansen aus dem Jahr 1896. Unterhalb ihrer Füße liest man die Inschrift: „FOLGE DEM GESETZ“. Auch wenn die Göttin der Gerechtigkeit blind ist, fühle ich, wie man mir über die Schulter schaut. Ich stehe mit dem Rücken zu ihr und sah sie nur kurz bei meiner Aufstellung auf dem Platz im Jahr 1946. Damals waren sie und das Rathaus schon ein halbes Jahrhundert dort anwesend.
Im Gegensatz zur bekleideten Justitia tritt mein üppiger Körper vollkommen nackt hervor. Ich bin das erste Exemplar des Bildhauers Johannes Bergs Pomona, in Bronze gegossen. Sie war die Göttin der Baumfrüchte und des Gartenanbaus. Einige mögen sie aus den Metamorphosen des Dichters Ovid kennen. Pomona tritt dort als Nympfe auf, „nicht Waldungen liebt sie und Flüsse, Fluren allein und von köstlichem Obst vollhangende Zweige.“ Berg wandte in seiner Ausführung eine überwiegend, von griechischer und römischer Kunst inspirierte, neoklassizistische Formsprache an. In meiner einen Hand halte ich einen Apfel und in der anderen einen Birnenzweig, während das Haar mit Fruchtzweigen umgarnt ist. Zu meinen Füssen liegt ein Blätterkranz mit Birnen und Äpfeln.
An dieser Stelle symbolisiere ich auf natürliche Art die fruchtbare Gegend rund um Skælskør, die reich an Traditionen des Fruchtanbaus ist. Aber ich kenne auch eine Pomona in Odense und eine in Reykjavik. Von ihnen ist keine wie ich auf einer Fontaine platziert. Deshalb nennt man mich auch den Pomonabrunnen. Meine dazugehörige Grünanlage mit Bänken und gefälligen Proportionen ist oftmals menschenleer. Die Bewohner Skælskørs weilen lieber am Hafen und dem neumodischen Svanetorv (Schwanenplatz). Sie scheinen meine fruchtbare Existenz vergessen zu haben.
Pomona. Johannes Bjerg (1886-1955). Bronze, Kunststein. Aufstellung im Jahr 1946. Rasmus Harboe (1868-1952), Justitia, Majolika. Errichtet 1896.
Autorin der Texte ist Gitte Broeng.
Ich soll Christian IX zu Pferd darstellen. Wir Reiterstatuen sind ein ganz besonder Zweig der Bildhauerkunst, der bis in die Antike zurückgeht. Historisch gesehen huldigten wir Regenten oder Sieger auf öffentlichen Plätzen und dienten als Symbole der Macht. Heute sind wir eine aussterbende Art. Wohl am meisten, weil Autos Pferde verdrängt haben und demokratische Gesellschaften in zunehmende Weise es unterlassen, die Machthaber aus Sockel zu stellen.
Keine neuen Reiterstatuen kommen hinzu. Sicherlich haben ich von einem modernen Entwurf gehört, der permanent vor dem Kunstmuseum Arken steht, der sogar am Trafalgar Square in London, in der Nähe des Monuments des Kriegshelden Lord Nelson, aufgestellt war. Die Bronzestatue stellt einen Jungen auf einem Schaukelpferd dar. Als alte Reiterstatue fühlt man sich da leicht verspottet. Hier auf dem Schweizerplatz überrage ich alle in der Nähe stehenden Skulpturen. Jeder sieht, wer den Platz als Erster eingenommen hat.
Der Bildhauer Ludvig Brandstrup bekam den Auftrag, mich herzustellen. In Esbjerg stand bereits eine Reiterstaue von Christian IX, die von Brandstrup hergestellt worden war. Die Spendensammlung der Bürger von Slagelse und Umgebung begann nahc dem Tod des Königs 1906. Es dauerte Jahre bis die nötige Geldmenge erreicht war. Und in der Zwischenzeit meinten Kritiker, dass die Mittel andersweiter besser angebracht seien. Jedoch ich wurde aufgestellt und am 9. Juni 1910 eingeweiht. Die Königsfamilie nahm an den Festlichkeiten teil. Die Tribüne befand sich nur wenige Meter von mir entfernt.
Für viele jetzige Zeitgenossen ist Christian IX nur eine Zahl in der königlichen Reihenfolge. Ich kann berichten, dass er 1863 als erster dänischer König aus dem Geschlecht der Glücksburger eingesetzt wurde. Für den Großteil seiner Regierungszeit war er ziemlich unpopulär. Erst kam die Niederlage im deutsch-dänischen Krieg 1884 und der Verlust der Herzogtümer in Deutschland. Es folgte der jahrelange Verfassungskampf bis zum Systemwechseln 1901. Da gab es der König auf, Regierungen gegen die Mehrheit des Parlaments zu ernennen. Manchmal wundere ich mich, dass man Denkmäler zu seinen Ehren errichtet hat. Vielleicht denken die Reiterstatuen in Esbjerg, Odense, Odense, Kopenhagen und Aalborg dasselbe. Gerüchten zu Folge wurde Christian IX am Ende seiner Tage sehr beliebt. Und ich bin immer noch König vom Schweizerplatz.
Christian IX. Ludvig Brandstrup (1861-1935). Bronze. Aufstellung 1910.
Autorin der Texte ist Gitte Broeng.
Slagelse-Mädchen werde ich in Slagelse genannt. Mein eigentlicher Titel ist Sitzendes Mädchen. In ganz Dänemark sitzen andere Mädchen wie ich. Der Bildhauer Gerhard Henning modellierte die Figur 1936 und die Neue Carlsberg Glyptothek beauftragte ihn sofort, sie in Deistersandstein zu meißeln. Sitzendes Mädchen wurde 1938 vollendet. Sie befindet sich im Kopenhagener Museum. Wir anderen sind in Bronze gegossen oder Kunststein gemeißelt.
Selber wurde ich von der Verschönerungsgesellschaft Slagelse geschenkt und vor dem Rathaus 1963 aufgestellt. An meiner jetzigen Stelle werde ich vor Wind und Wetter durch das neue Eingangsportal beschützt. Aber mein Gesicht und Körper verwitterten. Reparationen lassen auch sich warten. Ab und zu träume ich von einem neuen Leben in Bronze, ein beständigeres Material. Andererseits war meine buckelige und helle Oberfläche gleichbedeutend mit mir. Würde man alle Ausgaben von Gerhard Hennings Sitzendes Mädchen fragen, wo sie sich am meisten zu Hause fühlen, dort wo sie sind, würde ich gewinnen. So weit ich weiß, wurde keine andere nach ihrer Stadt benannt. Der Name steht sogar auf meinem Sockel.
Die Frau war das bevorzugte Motiv von Gerhard Henning. Er schuf unzählige Variationen zu diesem Thema. Figuren in sitzender, liegender oder stehender Positur, wie zum Beispiel Modernes Mädchen von 1930, die im Garten der Glyptothek steht. Seine Formsprache war sohowl modern als auch klassizistisch. Das Streben des Bildhauers nach der Herstellung dynamische Körper in Balance ist deutlich zu sehen. Auch wenn ich statisch und sitzend bin, drückt meine Form Bewegung aus. Die Position der Hände im Unterleib ergibt eine Drehung im Oberkörper. Das eine Knie hebt ab, als ob ich mich jeden Augenblick erheben würde. Gleichzeitig strahle ich eine selige Ruhe aus.
Hier beim Rathaus sitzend bin ich Zeugin von Frischvermählten, die in einen Regen aus Reiskörnern heraustreten. Anfangs have ich mich über das Ritual gewundert, aber Reis ist ein Symbol für den Beginn eines neuen Lebens. Unter richtigen Bedingungen würden die Körner sicherlich zwischen den Steinen im Rathausplatz sprießen. Ich spiele gelegentlich mit dem Gedanken von mir selbst in einem neuen Guss. Denke wie es wäre, ohne Makel den Menschen in Slagelse Glück zu wünschen.
Slagelse-Mädchen. Gerhard Henning (1880-1967). Kunststein. Aufstellung im Jahr 1963.
Autorin der Texte ist Gitte Broeng.
Der Schwanenmarkt ist nach mir benannt. Bevor ich hier ankam, war er nur ein Ort zwischen den Häuserreihen und einem Parkplatz. Mein Titel ist Springbrunnen des hässlichen Entleins aber ich werde auch als Schwanenspringbrunnen gerufen. Die wenigsten Springbrunnen haben, wie ich, ihrer Umgebung ihren Namen gegeben. Der Storchenspringbrunnen in Kopenhagen muss sich mit dem Amagermarkt zufrieden stellen.
Aus den Düsen springt Wasser in mein Bassin und verwandelt die Oberfläche in sich kreuzende Wellen. H.C. Andersens Märchen über das hässliche Entlein, dass auf einem Entenhof großgezogen wird, inspirierte den amerikanischen Bildhauer Marschall M. Fredericks. Auf einem niedrigen Sockel stehend breitet das hässliche Entlein seine kurzen Bronzeflügel aus. Der Schnabel ist geöffnet, der Hals streckt sich in Richtung des Schwans, der ebenfalls aus Bronze ist, und sich am gegenüberliegenden Ende des Beckens befindet. Hoch oben und mit Luft unter den Flügeln. Im Märchen sieht das Entlein auf der Flucht vom Entenhof einen Schwarm erwachsener Schwäne vorbeiziehen. Er wird von ihnen angezogen, ohne sich über die Verwandtschaft im Klaren zu sein. Diesen Augenblick hält Fredericks fest. Gleichzeitig illustriert er die Entwicklung des hässlichen Entleins zum stolzen Schwan. Der Bildhauer hat viele öffentliche Kunstwerke hervorgebracht und sogar ein Museum ist nach ihm benannt. Wenn ich könnte, würde ich das Marschall F. Fredericks Sculpture Museum in Michigan, das mehr als 200 seiner Werke beinhaltet, besuchen. Wir sind ja eine Art Verwandte.
Denkmäler auf Plätzen im öffentlichen Raum erinnern in der Regel an ein historisches Ereignis. Ich dagegen bin eher ein sehr persönliches. Der dänisch-amerikanische Karl Larsen spendete mich im Jahr 1984 in Erinnerung an seiner Kindheit im alten Skælskør. Ursprünglich ein ausgebildeter Kommis wanderte er in jungen Jahren aus, um offenbar zu zeichnen. Larsen wohnte den größten Teil seines Lebens in den Vereinigen Staaten, wo er als autodidaktischer Werbe- und Karikaturzeichner mit einem eigenen Studio in Detroit arbeitete. Nach seiner Pensionierung begann er außerdem zu malen. Das Stadtmuseum Skælskør besitzt einige seiner Bilder.
Ich glaube, Karl Larsen schenkte mich der Stadt, weil er sich im Märchen über das Finden der wahren Identität fern der Heimat wiedererkannte. Aber alle kennen mein berühmtes Motiv. Deshalb sehe ich mich selbst als ein persönliches Denkmal, das auch universell ist.
Schwanenspringbrunnen. Marshall M. Fredericks (1908-1998). Bronze. Aufstellung im Jahr 1984.
Autorin der Texte ist Gitte Broeng.
„Ehrlich währt am längsten“ lautet ein Sprichwort. Der Bildhauer Torben Kapper schuf mich aus Bronze. Trotz des Gebrauchs eines klassischen Materials hat das Motiv die Erwartungen an eine Skulptur auf dem Altmarkt (Gammeltorv) herausgefordert. So fiel jedenfalls die Rezeption aus.
Ein Teil von mir liegt und gibt den Blick auf mein hohles Innerstes frei. Im Schaffungsakt eines Gusses einer Skulptur wie mir verwendet man Gips. Das Pulver wird in Säcken aufbewahrt, die weich und stapelbar sind.
Torben Kapper entschied sich, diese ansonsten unsichtbaren Gegenstände der Kunstproduktion als Motiv sichtbar zu machen. Der höchste Stapel sieht aus, als wäre er umgefallen. Die Wechselwirkung zwischen den senkrechten und waagerechten Linien bringt Bewegung in die Komposition. Gleichzeitig breite ich mich auf dem Marktplatz aus. Das Ganze erinnert an einer Gießerei, in der gearbeitet und gewühlt wird.
Normalweise laden Bronzestauen nicht die Leute ein, hinter ihre Fassade zu schauen, sondern stellen bekannte Personen, Sagenfiguren oder Abstraktionen dar. Stattdessen thematisiere ich, wie ich gemacht wurde und im Inneren aussehe. Meine soliden Formen sind in Wirklichkeit leere Schalen. Die Säcke wirken weich und sind doch hart. Hände von Vorbeigehenden streifen regelmäßig zur Überprüfung die Oberfläche. Ich betrachte mich selbst als eine ehrliche Skulptur, die über ihre eigene Erschaffung spricht und mit gewohnten Vorstellungen spielt.
Ab und zu denke ich an die Oper Carmen. Die Weltprämiere in Paris 1875 war bei weitem kein Erfolg. Die Kritiker erbosten sich über den Realismus des Werkes. Einige Monate später starb der Komponist George Bizet in dem Glauben, ein riesiges Fiasko erschaffen zu haben. Aber Carmen wurde schnell populär und ist es heute noch. Kunst geht es nicht um Popularität. Dennoch muss man sich daran erinnern, dass Einstellungen und der Geschmack sich im Laufe der Zeit verändern. Die kleine Meerjungfrau saß vereinsamt an der Langelinie in Kopenhagen im Laufe der ersten Jahrzehnte ihrer Existenz, weil der Gefionspringbrunnen alle Aufmerksamkeit auf sich zog. Die damaligen Dänen begeisterten sich für nordische Mythen und Sagen. Erst nach dem Zweiten Weltkrieg wurde sie wirklich berühmt, besonders unter Touristen. Die Geschichte hat mich viel gelehrt.
Ohne Titel. Torben Kapper (geb. 1965). Bronze. Aufstellung im Jahr 2010.
Autorin der Texte ist Gitte Broeng.
Der Bildhauer Keld Moseholm unterlies es, mir einen Titel zu geben. Es gibt daher für mich und meiner Betrachter eine Freiheit, ohne Titel zu sein. Ich bin offen zu verstehen. Ab und zu beneide ich jedoch die Schiffe im Hafen, weil sie Namen haben.
Skælskør ist mit dem Rest der Welt über den Wasserweg verbunden. Unterhalb meines Sockels sind die vier Haupthimmelsrichtungen angegeben. In nördlicher Richtung sieht man die Brücke zwischen den Stadtteilen in Ost und West. Das Gerüst ist filigran und besteht aus einem mehrfarbigen Stadtwappen, das die besondere Geographie der Stadt angibt. Der Architekt P.V. Jensen-Klingt zeichnete die Kilometersteine aum dem Platz. Sein Model gewann 1910 eine Ausschreibung und ist in mehreren Stellen im Land zu sehen. Berühmt wurde der Architekt durch die Grundtvigskirche in Kopenhagen. Und durch die Erfindung des plissierten Lampenschirms, der unter dem Namen Le Klint bekannt ist. Er wurde in Mineslyst bei Holsteinborg, ungefähr 13 Kilometer von hier entfernt, geboren.
Mein Sockel ist, wie der Kilometerstein, in Granit gehauen, jedoch ähnelt er eher einem Obelisken und dient zur Verschönerung oder als Monument. Der römische Kaiser Caligula frachtete im jahr 37 einen Obelisken aus Ägypten nach Rom. Der Stein wurde in der Mitte des Petersplatzes installiert. Wie andere Obelisken har er vier Seiten, die zum Ende zusammenlaufen und eine Pyramide formen. An der Spitze meiner runden Säule befindet sich dagegen ein einfacher Windsurfer. Der Mann ist aus Bronze gegossen und hat eine einfache Form, die seine komische Statur hervorhebt. Der gleiche Typ Mann befindet sich in vielen von Moseholms Werken.
In mir, Ohne Titel, steht der Windsurfer mit seinem disharmonischen Körper und in Segelpositur im Kontrast zur Stabilität der Säule. Der Sockel beinhaltet eine diskrete Metalplatte. Die Inschrift besagt, dass ich von der Skælskør Bank anlässlich des 125. Geburtstages des Geldinstitutes 2001 überreicht wurde. Gleich dem römischen Reich, das unterging, hörte die Bak auch auf zu existieren. Dies geschah im Laufe der letzten Finanzkriese. Ich stehe unverändert hier, kann jedoch in einem anderen und dunkleren Licht betrachtet werden.
Ohne Titel. Keld Moseholm (1936 geboren). Bronze und Granit. . Aufstellung im Jahr 2001.
Autorin der Texte ist Gitte Broeng.
Isenstein signierte mich in der obersten rechten Ecke. Sein Vorname war Harald. Jugend nannte er mich. Ich bin ein aus Gips gegossenes Relief, Im Gegensatz zu den Skulpturen nahe dem Eingang stehe ich nicht frei, sondern hänge an der Wand der Bibliothek. Zwei junge Menschen treten aus meiner Fläche hervor, eine Frau und ein Mann. Die Gesichter im Profil. Beide sind nackt und sitzend. Ein Tuch bedeckt ihre Geschlechter. Er hält ihre Hand und Arme und Beine sind ineinander verwickelt. Ich spüre eine zögerliche, sich noch entwickelnde, Intimität zwischen ihnen.
Der in Deutschland geborene Bildhauer und Kunstpädagoge Harald Isenstein wurde an der Kunstakademie zu Berlin ausgebildet und bis in das Jahr 1933 im dortigen Künstlermilieu tätig. Als Jugend und Gegen des Nationalsozialismus flüchtete er nach Dänemark. Die Familie seiner Mutter stammte aus Kopenhagen. Die Produktion seiner Jugend gingen zu weiten Teilen in Nazideutschland unter. Nach dem Krieg wurde Isenstein dänischer Staatsbürger und porträtierte unter anderen Niels Bohr, Karen Blixen und Königin Margrethe. Sein bekanntestes Werk ist jedoch die Portraitbüste von Albert Einstein aus dem Jahr 1924, die im Einsteinturm zu Potsdam zu sehen ist. Die Nazis tauften das Observatorium nach der Machtergreifung um und entfernten alle Spuren über Einstein. Die Büste existiert heute nur weil es einem Mitarbeiter gelang, sie zu verstecken.
Neben seiner Karriere als Bildhauer war Isenstein ein tüchtiger Kunstpädagoge. Er gab Kindern und Jugendlichen Kunstunterrichtet. Lehrte auch schriftlich und traf regelmäßig in Funk und Fernsehen auf. Im Laufe der Jahre gab es immer weniger Ausstellungen, aber die Lust an der visuellen Deutung der Welt wurde nie minder. Er hinterließ über 7000 Werke, überwiegend Aquarelle und Zeichnungen.
Seine Witwe übergab die Sammlung an die Kommune Korsør und seit über 30 Jahren ist die Isenstein-Sammlung auf dem Kongegaarden ansässig. Ich bin von dort ausgeliehen und wurde hier 1988 als Bibliotheksverzierung installiert. Das Halbdach schützt mich vor Wind und Wetter. Trotzdem fühle ich mich oft, wie andere sich im öffentlichen Raum befindende Kunstwerke, verletzbar und ausgesetzt. Nicht alle lassen mich in Ruhe. Vögeln und Kleintiere kann ich verzeihen. Die Menschen müssten es besser wissen.
Jugend. Harld Isenstein (1898-1980). Gips. Aufstellung im Jahr 1988.
Autorin der Texte ist Gitte Broeng.
Tag und Nacht trage ich ein Wassergefäß, das niemals leer wird. Das Gewicht drückt auf meinen Rücken. Dennoch wirke ich nicht gebeugt. Meine jugendliche Kraft verhindert Gedankengänge in diese Richtung. Ich bin der Wasserträger aus dem Jahr 1929, eine Auslegung des Bildhauers J. J. Bregnøs der griechischen Sage über das Gefäß der Danaiden.
Mythen und Sagen sind mündliche Berichte von Ereignissen, die einst stattgefunden haben sollen. In Korsør, Athen und wo auch immer auf der Welt werden Geschichten von einer Generation an die nächste überliefert und einige sogar niedergeschrieben. Der Sage nach wurden die Danaiden gezwungen, ihre Cousins zu heiraten, doch töteten sie die aufgezwungenen Ehegatten gleich nach der Heirat. Zur Strafe muss jede von ihnen im Tartaros Wasser in ein durchlöchertes Fass schöpfen. Die Arbeit war eine Danaidenarbeit, nicht ungleich der sinnlos vergeudeten schönen Arbeit im Sisyphus-Mythos.
Meine Arbeit auf Caspar Brands Plads geht im Kreise. Doch gleicht sie eher dem Spiel als etwas anderem. Aus dem Fass strömt das Wasser meinen nackten Körper entlang und weiter in die offenen Tiermünder der darunterliegenden Ebenen. So stelle ich dar, dass ich alle mit Wasser versorge. Bregnø hatte einen Sinn für Sanftes und Harmonie. Der Unternehmer H. J. Henriksen bezahlte die ganze Herrlichkeit. Man sagt, dass er Steuern hinterzog, und dass ich eine Art Pflaster auf der Wunde war. Man sagt auch, dass er den Steuereintreiber verachtete und dafür sorgte, dass mein Hintern in Richtung des Fensters des Steuereintreibers zeigt. Aber vielleicht ist das ein Mythos.
Im Steinpflaster des Rathausgartens gibt es ein Stein in Erinnerung an einen gewöhnlichen Bürger und beliebten Mitarbeiter der Kommune: Stig Hansen, Bevollmächtigter im Rathaus zu Korsør. Ich kannte ihn wohl. Wir waren eine Art Kollegen, beide eine Art Wasserträger. 2004 vermachte er testamentarisch sein erspartes Vermögen der Kommune Korsør in Form eines Fonds für allgemeine und kulturelle Ziele. Korsør und Halskov haben seitdem mehrere Kunstwerke geschenkt bekommen. Unter ihnen sind Skulpturen in der Gedächtnisanlage des Bevollmächtigen, die sich rund um die Ecke versteckt. Vor ein paar Jahren wurde ich durch eine gründliche Restaurierung zu neuem Leben erweckt. Ich hoffe auf eine Wiederholdung im Jahr 2100. Meine potentielle Ewigkeit hängt vom Wohlwollen zukünftiger Generation ab.
Wasserträger. J. J. Bregnø (1877-1946). Bronze und Travertin. Aufstellung im Jahr 1929.
Autorin der Texte ist Gitte Broeng.